Noch vor zwanzig Minuten sind wir mit dem Auto hierher gerast.
Jetzt klickt abkühlendes Metall in der Abendluft. Von den Räder riecht es warm nach Straße und Geschwindigkeit.
Ich stehe hier am Rand der Welt und schaue zu, wie die Dämmerung die Landschaft frisst.
Hier, das ist ein kleines Dorf zwischen der Autobahn und dem Ende der Braunkohle. So unbedeutend, daß man es auf der Landkarte dazuschreiben müsste: kleines Dorf – wirklich unbedeutend.
Aus dem Küchenfenster hinter mir höre ich es geschäftig werkeln. Abendbrot. Die Vorbereitungen sind im Endstadium. Brot wird geschnitten, Tomaten geviertelt, Wurst gehäutet. Die letzten Neuigkeiten kommen auf den Tisch. Bierflaschen klingeln: Es ist angerichtet.
Über den Gartenzaun weht Wiesengeruch.
Sattes Sonnengrün färbt sich im Abendlicht zu Nachttürkis.
Wenn die Trägheit satter Zeiten Friedlichkeit vorgaukelt, dann kann man von hier wirklich beobachten, wie sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Meist aber gelten Darwins Essensregeln: ein jeder fresse, wie er kann, auch mal seinen Nebenmann.
Rote Punkte kreiseln am Horizont. Früher zerrissen dort Bagger das Land, heute drehen sich träge Windmühlen und zermahlen Wolken zu Strom.
Der dunkle Streifen ist Niemandsland. Verbotenes Land. Wolfsland.
Als die Bagger stoppten, kam zuerst das Wasser zurück, später kamen die Wölfe.
Das Wasser füllte alten Gruben und Gemeindekassen, dann begann es, durch den Boden zu kriechen.
Ungefragt, ungewollt, unkontrolliert untergräbt es Äcker und Zukunftspläne.
Niemand ist sicher dort, niemand darf hin ins Niemandsland. Lebensgefahr. Betreten verboten.
Die Wölfe gingen dorthin. Wölfe lesen keine Schilder.
Hier ist der Rand der Welt und vom Rand lässt sich gut in die Welt fliegen.
Aber erst morgen.
Mit leisem Knacken kühlt der Automotor.
Zeit für’s Abendbrot.